Während heute mit den zahlreichen Regularien und Verordnungen ESG immer mehr zur Pflichtübung verbunden mit bürokratischen Aufwendungen wird, galten ESG-Aktien- und Anleihenscreening-Verfahren einst als erweiterte Instrumentarien des Risikomanagements bei der Geldanlage. Auch heute erspart der Ausschluss „zweifelhafter“ Unternehmen viel Ärger für Vermögensverwalter und Fondsmanager.
Mehr als 1000 Worte sagen die Ergebnisse von Metastudien, da in ihnen viele voneinander unabhängige Studien einfließen. Das gilt auch wenn man der Frage nachgeht ob es Unterschiede in der Kursentwicklung „ethischer und weniger ethischer“ gibt. Antworten liefert die in Fachkreisen bekannte Metastudie von Gunnar Friede, Alexander Bassen und Timo Bush, mit dem Titel „ESG and financial performance: aggregated evidence from more than 2000 empirical studies“. Sie betrachtet mehr als 2000 empirische Studien. Ergebnis: Die Einbeziehung von ESG-Aspekten in der Selektion von Geldanlagen ergab von 1970 bis 2015 in rund 90 Prozent aller Studien keine negativen Auswirkungen auf die finanzielle Performance von Unternehmen. Mit 65,4 Prozent mit Abstand am höchsten sind positive Nachhaltigkeitseffekte in den Schwellenländern, während sie in den entwickelten Ländern Europas und Asiens (plus Australien und Neuseeland) mit je 26,1 bzw. 33,3 Prozent der Studien am schwächsten sind (Stand Dezember 2015). In Nordamerika bescheinigten 42,7 Prozent der Studien positive Wirkung auf Unternehmensfinanzen.
Bereits zwei Jahre früher (2013) verwies Rolf D. Häßler, Leiter der Unternehmenskommunikation von oekom research (heute ISS ESG) im Interview mit einer österreichischen Regionalzeitung auf eine 195 Studien umfassende Metastudie der Steinbeis-Hochschule hin in der es um Risiko und Rendite nachhaltiger Anlagen ging: Fast zwei Drittel dieser 195 Studien kommen zu dem Ergebnis, dass sich die Berücksichtigung von sozialen, ökologischen und ethischen Kriterien bei der Kapitalanlage neutral oder sogar positiv auf die Rendite auswirkt, nur 14 Studien zeigten hier einen negativen Zusammenhang. Schon ein neutrales Ergebnis ist dabei aus Sicht der Anleger positiv zu bewerten, kann er doch seine moralischen Werte bei der Kapitalanlage berücksichtigen – und damit sozusagen eine nachhaltige Dividende einstreichen –, ohne auf Rendite verzichten zu müssen.
„Frühwarnsystem“ ESG-Rating
Fakt ist auf jeden Fall, dass ESG-Selektion hohe Verluste ersparen kann. Das war schon vor rund sieben Jahren bekannt und wurde von der einstigen deutschen Nachhaltigkeitsrating-Agentur, oekom research, belegt: Diese hat die soziale und ökologische Performance von Firmen anhand von über 100 branchenspezifischen Kriterien beurteilt und führte eine Einstufung im Vergleich zu den Wettbewerbern auf einer Rating-Skala von D- bis A+ (beste Bewertung) durch. Hier schnitten selbst die besten Konzerne lediglich im B- Bereich ab. Bereits vor den schlagend gewordenen Skandalen/Krisen hatten z.B. Lehman Brothers, WorldCom, BP, Enron, TEPCO und Parlamat ein schlechtes oder sehr schlechtes oekom Rating.
Sowohl als zuverlässiges Frühwarnsystem als auch als Hilfsmittel der positiven Aktienselektion herangezogen werden kann das Corporate-Rating von oekom, das die soziale und ökologische Performance eines Unternehmens anhand von über 100 branchenspezifischen sozialen und ökologischen Kriterien beurteilt. So hatten z.B. Lehman Brothers, WorldCom, BP, Enron, TEPCO und Parmalat vor den jeweiligen Krisenereignissen ein schlechtes oder sehr schlechtes oekom Rating.
11 Beispiele von Skandalen, Pleiten und Zwischenfällen seit 2000:
2001: Enron – Bilanzskandal beim weltgrößten Energiehändler
Eine SEC-Prüfung wurde im Oktober 2001 bekanntgegeben. Entdeckung: Versteckte Milliardenverbindlichkeiten bei Partnerfirmen und Gewinn der Vorjahre um 1,2 Milliarden Dollar zu hoch ausgewiesen. Insolvenz im Dezember 2001: Totalverlust, allerdings konnten Aktionäre bis 2008 im Zuge einer Sammelklage Schadenersatzzahlungen von 7,2 Milliarden US-Dollar (vgl. mit einst 80 Mrd. USD Marktkapitalisierung) erstreiten.
2002: WorldCom – Bilanzskandal
Nach Rücktritt des langjährigen Firmenchefs, Bernard J. Ebbers (April 2002) taten sich Abgründe auf: Die Vermögensseite war um 11 Milliarden Dollar aufgebläht:
Aufwendungen für Zugangs- und Durchleitungsgebühren wanderten ins Anlagevermögen. Der Insolvenzantrag folgte am 22.07.2002; Der Firmengründer und zu dem Zeitpunkt CEO des Unternehmens, Bernard Ebbers, wurde daraufhin zu 25 Jahren Gefängnis verurteilt; der damalige Finanz- und Buchhaltungschef Scott Sullivan zu 5 Jahren. Schaden in Zahlen: Seit dem Hoch im April 1999 Vernichtung einer Marktkapitalisierung von 186 Mrd. US-Dollar.
2002: Tyco Bilanzskandal
Laut Anklageschrift der SEC hat der Mischkonzern Tyco Ergebnis und Cash flow „inflationiert“. Die beiden Ex-Manager Dennis Kozlowski und Mark Swartz sollen zwischen Ende 1999 und Mitte 2002 Unternehmensgewinne um rund 5,8 Milliarden Dollar aufgeblasen haben. Zudem wurde dem Management persönliche Bereicherung auf Kosten des Unternehmens vorgeworfen. Folge: Aktienkurs minus 85,6 Prozent von 02.01. bis 25.07.2002 .
2003: Parmalat – Bilanzskandal
Dezember 2003: Angebliches Konto auf Cayman-Inseln mit 3,95 Milliarden Euro war nicht existent und es fehlten insgesamt über 14 Milliarden Euro – verschleiert durch ein Geflecht aus über 200 Scheinfirmen und gefälschte Bankenschriftstücke. Folgen: Aktie verlor 93 Prozent binnen zwei Wochen; Firmeninsolvenz folgte; Nach Kursverfall auf 11 Cent folgte am 29.12.2003 Handelsaussetzung.
2008: Lehman Brothers – Höhepunkt der Finanzkrise
Die Gerüchteküche begann bereits vor der Insolvenz zu brodeln. Das Gutachten von Staranwalt Anton Valukas zeigte, dass die Investmentbank zu den Bilanzterminen die Cashreserven um bis zu 50 Milliarden Dollar aufbesserte, indem sie die nur für wenige Stunden abgegebenen Vermögenswerte nicht als Fremdfinanzierung sondern als Verkauf verbuchte. Am 15. September 2008 folgte die Insolvenz; Bilanzsumme 639 Milliarden Dollar! Folge: Faktisch Totalverlust für Aktionäre.
2010: BP – Umweltskandal Deepwater Horizon
Bereits vor dem Unglück 2010 gab es hier große Versäumnisse und Schwachstellen in den Bereichen Anlagensicherheit und Arbeitschutz, die zu Umwelt- und Arbeitsrechtsverstößen geführt haben. Anlässlich früherer Umweltverstöße in den USA, Russland oder Südafrika war das Rating von BP bei oekom research bereits vor dem Geschehen massiv abgewertet worden. Am 20. April 2010 war es dann soweit: Ausgelöst durch eine Explosion der Ölbohrplattform Deepwater Horizon flossen in den darauffolgenden Monaten ca. 800 Millionen Liter Öl ins Meer und verpesteten die amerikanische Golfküste. Die Gesamtkosten der Ölpest bezifferte BP bis dato auf 65 Milliarden US-Dollar. Vom 20.04. bis 25.06.2010 verlor die BP-Aktie in New York 55,3 Prozent an Wert.
2011: TEPCO – Havarie im Atomkraftwerk Fukushima
Bereits vorher war TEPCO nicht gerade der Traum von Umweltaktivisten. Der größte Energiekonzern Japans ist für seine AKW-Pannen schon vor der Erdbebenkatastrophe von Fukushima am 11. März 2011 bekannt. Nach der Katastrophe geriet das Unternehmen wegen schlechtem Krisenmanagements ins Kreuzfeuer der Kritik. In Frankfurt verlor die TEPCO-Aktie vom 01.03. bis 29.04.2011 80,1 Prozent an Wert.
2013 bis 2015: Zinsmanipulationsskandal Deutsche Bank
Der Kreis der betroffenen Banken wurde immer größer nachdem bereits im Juni 2012 in der Londoner City der Skandal platzte. Am 4. Dezember 2013 verhängte die EU-Kommission wegen der Manipulation von Zinssätzen eine Rekordstrafe von 1,7 Milliarden Euro gegen mehrere Banken, davon 725 Millionen Euro gegen die Deutsche Bank, die sich im April 2015 noch mit den zuständigen Aufsichtsbehören der USA und Großbritannien auf eine Strafzahlung von 2,5 Milliarden Dollar einigte.
2014/15: General Motors- Zündschloss-Skandal
124 Todesfälle und 275 Verletzte bei Unfällen werden mit einem defekten Zündschloss bei GM in Verbindung gebracht. Im Februar 2014 begann GM ca. 2,6 Millionen Fahrzeuge zurückzurufen. September 2015: 900 Mio. Dollar Strafzahlung; weitere 625 Mio. US-Dollar für Fonds zur Opfer-Entschädigung. GM-Aktie: -13,6 Prozent von Anfang 2014 bis 16.10.2015
2015: VW Skandal – Manipulation der Abgaswerte
Alleine die Rückrufaktion von Diesel-Fahrzeugen mit falschen Abgas-Messwerten verschlingt in Europa und den USA zweistellige Milliardenbeträge. Hinzukommen noch Bußgelder und Entschädigungszahlungen für VW-Kunden. Bis 2021 kostete der Skandal dem Unternehmen 32 Mrd. Euro. Vom 18.9. bis 5.10.2015 also kurz nach Bekanntgabe brach die VW-Stammaktie vorübergehend 41 Prozent ein.
Ein relativ zeitnaher Skandal war jener von WireCard. Hier wurde ein Guthaben von 1,9 Milliarden Euro auf Treuhandkonten vorgetäuscht. Schon seit Jänner 2019 prodelte rund um das Unternehmen die Gerüchteküche. Fakt ist, dass es auch hier enorme Transparenzprobleme gab, also ein Governance-Defizit, das zu jenem Skandal führte, der für die Pleite des Unternehmens verantwortlich war.